Schach in Langen nach dem 2. Weltkrieg

Wie es früher einmal war!

 

Mein Name ist Friedel Herth. Ich wurde 1935 in Langen geboren. Im Alter von 6 Jahren erlernte ich das Schachspiel – ich spielte aber zunächst nur zu Hause mit Freunden. 

Es herrschte der 2. Weltkrieg. Als Spielfiguren hatten wir runde Holzscheiben, wie beim Damespiel, auf denen die Schachsymbole mit roter bzw.schwarzer Farbe aufgedruckt waren.

Sehr oft mußten wir unsere Spiele unterbrechen weil amerikanische Bombengeschwader über Langen flogen und die Gefahr von Bombenabwürfen bestand.

Meistens flogen sie an Langen vorbei, mit dem Ziel, in Schweinfurt die Kugellagerfabrik Fichtel & Sachs zu bombardieren. Fichtel und Sachs war ein wichtigiger Zulieferer für die deutsche Wehrmacht. Aber manchmal warfen sie über Langen auch  Brandbomben ab und verbeiteten mit Flugblättern bei den Langenern etwas Angst mit dem Text: „Langen im Loch wir finden euch doch“.

Das damals landwirtschaftlich geprägte Langen war aber für Bombenangriffe uninteressant. Die Maschinenfabrik Nassovia und Voigt & Häffner waren nach meiner Erinnerung die einzigen größeren Betriebe. Aber ein Scheinwerfer mit 4 riesigen Strahlern, den die Deutschen etwa 1000 m vom Wohngebiet entfernt errichtet hatten, war den Amerikanern ein Dorn im Auge, denn bei ihren  nächtlichen Angriffen wurden die Flugzeuge angestrahlt und versteckte Flakgeschütze  sollten sie abschießen. Ich habe aber keinen einzigen Abschuß gesehen!

 

Nach der Niederlage Deutschlands erlaubten die Besatzungsmächte, die sogenannten Alliierten, (USA, England, Frankreich und Russland),  kein uneingeschränktes Fortbestehen der deutschen Vereine. Sie  mußten erst einmal „entnazifiziert“ werden. Viele waren  für Hitler und für das „Dritte Reich“ ein Aushängeschild für die Leistung des deutschen Sports. Die Vereinsfunktionäre waren meist auch Mitglieder in der  NSDAP – (National-Sozialistische-Deutsche-Arbeiter-Partei). Für  die Langener Vereine traf das meines Wissens nicht zu. Aber auch die mußten wieder klein anfangen.

 

Inzwischen war ich 12 Jahre alt geworden und hatte den Wunsch, einem Schachklub beizutreten. Einen Klub in dem nur Schach gespielt wurde gab es im Jahre 1947 nicht.

Ich hörte aber, dass sich bei der SSG, Sport-und Sängergemeinschaft Langen, ein paar Schachspieler eingefunden hätten. Es waren meist ältere Spieler und gerade so viele, dass eine Wettkampfmannschaft gebildet werden konnte. Deshalb waren neue Spieler sehr begehrt. Ich konnte meine schon vorhandene Spielstärke unter Beweis stellen und wurde sofort für den Wettkampf am Sonntag nominiert. Ich habe mein erstes Spiel siegreich gestaltet und damit den Grundstein für meine weitere „Karriere“ in der Mannschaft  gelegt.

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Das damalige Spielniveau war nicht so hoch wie heute und die Gegner haben des öfteren  schon einmal einen „guten Zug“ übersehen. Die Wettkämpfe wurden nicht so ernst genommen. Man spielte zwar mit einem gewissen Ehrgeiz aber in erster Linie wollte man Spaß haben bei diesem schönen Spiel. Schachunterricht wurde in den Vereinen nicht angeboten. Es war auch keine Zeit zum Üben vorhanden, denn Deutschland mußte wieder aufgebaut werden, das Geld, die Reichsmark verlor inflationär ihren Wert und und fast jeder war damit beschäftigt, sich erst einmal eine Existenz aufbauen.

 

Zu dieser Zeit hatte ich in Langen nur ein einziges Auto fahren gesehen. Der findige oder kundige Besitzer, mit Namen Becker, hatte, weil es kein Benzin gab, an seinem Fahrzeug einen riesigen runden Holzofen montiert und mit den Verbrennungsgasen einen dafür geeigneten Motor betrieben. Wir nannten das Auto: den Holzvergaser. Ich sehe heute noch das kleine runde Feuerloch am unteren Teil des Ofens, das manchmal einen Blick auf die Glut freigab.. Dieser Herr Becker hat dann später die Firma Omnibus-Becker gegründet.  

 

Unser Spielabend war dienstags. Nicht immer waren alle Spieler anwesend. Besonders problematisch war es wenn am Sonntag ein Wettkampf stattfand. Wie sollten die am Spielabend fergebliebenen Spieler informiert werden?  Es gab kein Telefon und man konnte nicht schnell einmal mit dem Auto zu diesen Spielern hinfahren. Ich half dem Manager der Schachabteilung, Herrn Bindewald mit dem Fahrrad und zum Teil zu Fuß, diese Aufgabe zu bewältigen.

 

Wenn wir auswärts spielen mußten, waren die Wege manchmal sehr weit, denn im Schachbezirk 6 Starkenburg spielten damals auch die Vereine des heutigen Bezirks 10, Bergstraße. Wir sind gerne in diese schöne Gegend gefahren.  Die mit den Vereinen geschlossene Freundschaft hat lange über die Abspaltung hinaus, gehalten.

Die Schachpartien haben früher sehr lange gedauert und zogen sich manchmal bis zu 8 Stunden hin. Wenn dann immer noch keine Entscheidung gefallen war, konnte die Partie

auf  Wunsch eines Spielers, abgebrochen werden und an einem vereinbarten Termin zu Ende gespielt werden. Der Abbrechende Spieler schrieb dabei seinen letzen Zug geheim auf sein Partiefornular. Dann wurden beide Partieformulare in einem Briefumschlag verschlossen. Diese sogenannte Hängepartie mußte bis zum nächsten Turnierkampf zu Ende gespielt werden wobei der Spieler, der den Abbruch gewünscht hatte, zum Gegner reiste. Als wir einmal in Heppenheim das Schachlokal erst gegen 17,00 Uhr verließen, war gerade das Heppenheimer Weinfest im Gange. Da konnten wir nicht widerstehen und haben auch noch ein Gläschen getrunken und die Heimfahrt mit dem Zug in den späten Abend verlegt oder war es sogar der frühe Morgen? 

 

Als einmal der Mannschaftskampf gegen Darmstadt-Eberstadt im Programm stand, waren unsere Spieler von Brett 1 und 2 sehr aufgeregt. An Brett 1 wollte unser Jackie Dalk den Russen Anatole Archipoff besiegen, ein Schachgigant der damaligen Zeit der sogar zweimal,  1948 und 1950 die Hessische Meisterschaft errang. An Brett 2 wollte unser Victor Sedovnik gegen den ebenfalls übermächtigen Gustav Seeh gewinnen. Ich weiß leider nicht mehr wie der Wettkampf ausgegangen ist. So viel kann ich aber sagen: Darmstadt-Eberstadt war damals ein Hochburg im hessischen Schach. Mit Archipoff und Seeh errang man 1948 und 1949 die Hessische Mannschaftsmeisterschaft. Für mich war es ein faszinierender Gedanke, diese beiden Spieler hautnah erleben zu dürfen.

 

(Friedel Herth)