Schach-Jugend-WM - Abschussbericht

Die Jugend-WM in Uruguay ist nach 11 Runden zu Ende. Geht man rein vom schachlichen Ergebnis aus, müsste der Titel aus Sicht von Leonore wohl lauten "außer Spesen nichts gewesen". Aber das wird dem Wettbewerb, der Atmosphäre und den Partien nicht gerecht.

Zunächst noch zur letzten Runde: Leonore spielte mit den weißen Steinen gegen Venla Lymysalo aus Österreich (siehe Bild).

Man kann schon sehen, dass die Stimmung alles andere als schlecht war. Beide unterhielten sich vor der Partie noch ein wenig und genossen es, ausnahmsweise gegen eine deutschsprachige Gegnerin antreten zu können, dazu nicht aus dem eigenen Landesverband, denn dazu hätte man nicht so weit reisen müssen. Die Partie endete nach etwas über drei Stunden mit einem Remis in ausgeglichener Stellung. Bis dahin hatten sich beide Spielerinnen bemüht, in einer sizilianischen Partie den vollen Punkt einzufahren, was letztlich keiner der Kontrahentinnen gelang.

Zum Abschluss also ein "leistungsgerechtes Remis". 4,5 Punkte aus 11 Runden sind für Leonore nicht das erwartete Ergebnis, vor allem, da ja 3 Punkte bereits nach 5 Runden eingefahren wurden (60 %) und selbst nach 8 Runden noch 50 % zu Buche standen. So einfach, wie man es an der Tabelle erkennt, war es dann auch. Das Turnier hatte zwei Hälften, die erste lief recht gut, die zweite ausgenommen schlecht. Eine Analyse der Partien im Einzelnen ergibt folgendes Bild:

2 Siege, davon
- einer davon leicht (Runde 1)
- einer etwas schwerer, aber sicher erspielt (Runde 3)
5 Remisen, davon
- eines nach gutem Spiel (Runde 4) in leicht vorteilhafter Stellung
- eines nach langer Verteidigung (Runde 5) in etwas schlechterer Stellung
- zwei ausgespielte Partien (Runde 8 und Runde 11) mit klarem Remis
- ein letztlich verschenkter Sieg durch Fehleinschätzung der Endstellung (Runde 7)
4 Niederlagen, davon
- zweimal klar überspielt worden (Runde 2 und Runde 6)
- einmal "veropfert" in ausgeglichener Stellung (Runde 9)
- einmal gespielt wie eine Anfängerin (Runde 10)

In allen Partien gab es natürlich Schwankungen in der Stellungsbewertung, aber diese vereinfachte Zusammenfassung zeigt schon, wo die Knackpunkte waren. Runde 9 wäre vielleicht auch ohne das fehlerhafte Opfer verloren worden, aber der Sieg in Runde 7 wurde am Ende klar verschenkt, und eine Partie wie in Runde 10 hat Leonore schon seit Jahren nicht mehr gespielt. Bei den Remisen in Runde 8 und 11 wurde nicht mit dem letzten Biss gekämpft, auch da ist noch etwas Potenzial; nicht zuletzt war die Remisquote mit 50 % einfach zu hoch.

Soweit die recht nüchterne Zusammenfassung eines am Ende schlecht gelaufenen Turniers. Die WM aber auch einige schöne Seiten. Besonders hervorzuheben sind dabei
- die gute Stimmung zwischen den Spielerinnen, sehr freundschaftlicher Umgang, keine Streitfälle
- die gute Stimmung in der deutschen Mannschaft
- die professionelle Ausrichtung des Turniers, bis auf Kleinigkeiten war alles perfekt organisert
- viele interessante Eindrücke abseits des Turniergeschehens
- neben dem anstrengenden Wettkampf auch noch etwas Freizeit (Altstadt, Museen, Schwimmen, Billard)

Die Stadt Montevideo hatte ein besonderes Flair. Über den Kontrast von alten Häusern und Hochhaus-Wohnblöcken hatten wir schon berichtet. In den Straßen fuhren überwiegend alte Autos, oft richtige Klapperkisten. Nebenstraßen und Bürgersteige waren in recht marodem Zustand. Elektrische Leitungen waren überirdisch zwischen Holzpfosten gespannt, oft auch von Haus zu Haus. Alles ungefähr wie bei uns in den 70er Jahren. In den Einkaufszentren sah es dagegen ungefähr wie bei uns aus. Fernseher mit Flachbildschirm, moderne Kommunikationsmittel und Haushaltsgeräte wurden an jeder Ecke angeboten, das passte nicht so ins Bild der 70er Jahre. Neben zahlreichen Mode- und Schmuckgeschäften gab es auch noch einige sehr gut sortierte Buchhandlungen, auch für Modebewusste und Leseratten ist in dieser Stadt gesorgt.

Die Zeit reichte nicht, um alles zu erkunden, aber wir konnten vieles sehen und haben eine schöne Zeit dort verbracht. Wenn man das schachliche Ergebnis nicht überbewertet, kann man zusammenfassen: Die Reise hat sich gelohnt.


P.S. Als Ursache für die 4,5 Punkte wurde im Nachhinein noch ein Straßenschild identifiziert, das genau diese Ziffern zeigt, bei uns Seltenheitswert hat und daher möglicherweise für Verwirrung sorgte und "an Allem" Schuld ist (siehe Bild).

Ferner wird gemutmaßt, dass wir auf der Südhalbkugel dauernd auf Kopf laufen mussten. Man kann so nicht Schach spielen, wenn man das nicht gewohnt ist.

(Dr. Gero Poetsch)